Johns Hopkins Studie zeigt verblüffende Ähnlichkeiten zwischen drogeninduzierten und spontanen lebensverändernden Erfahrungen an der Schwelle des Todes
In einer Zeit, in der die Angst vor dem Tod viele Menschen in existenzielle Krisen stürzt – besonders angesichts unheilbarer Krankheiten oder im hohen Alter – wirft eine bahnbrechende Studie der Johns Hopkins University neues Licht auf zwei scheinbar völlig unterschiedliche Phänomene: Nahtoderfahrungen und psychedelische Erlebnisse. Die im August 2022 in PLOS ONE veröffentlichte Forschung zeigt, dass beide Arten von Erfahrungen bemerkenswert ähnliche Auswirkungen auf die Einstellung zum Tod und zum Leben haben können.
Die Wissenschaftler um Roland R. Griffiths analysierten Online-Umfragedaten von 3.192 Personen, die berichteten, dass eine einzelne Erfahrung ihre Überzeugungen über Tod und Sterben grundlegend verändert hatte. Die Teilnehmer wurden in fünf Gruppen eingeteilt:
Die Studie erfasste detailliert die Umstände der Erfahrung, mystische und nahtodbezogene subjektive Merkmale, Veränderungen in den Einstellungen zum Tod sowie andere anhaltende Effekte.
Roland Griffiths fasst die Kernbotschaft der Studie zusammen: „Die Merkmale psychedelischer Erfahrungen können nicht nur Nahtoderfahrungen ähneln – beide werden als zu den bedeutsamsten Lebenserfahrungen gehörend bewertet, und beide erzeugen ähnliche anhaltende Verringerungen der Todesangst und Steigerungen des Wohlbefindens.“
Obwohl beide Gruppen – psychedelische und Nicht-Drogen-Teilnehmer – robuste Anstiege auf standardisierten Messungen mystischer und Nahtod-Erfahrungen zeigten, waren diese Werte bei den psychedelischen Teilnehmern signifikant höher.
Dies bedeutet: Psychedelische Erfahrungen scheinen intensivere mystische Qualitäten hervorzurufen, wie:
Gleichzeitig zeigten sie auch stärkere Nahtod-typische Merkmale:
Ein faszinierender Befund: Die Nicht-Drogen-Teilnehmer bewerteten ihre Erfahrungen mit höherer Wahrscheinlichkeit als die einzelne bedeutsamste, spirituell wichtigste, aufschlussreichste und herausforderndste Erfahrung ihres Lebens.
Dies legt nahe, dass Nahtoderfahrungen – obwohl psychedelische Erfahrungen intensivere mystische Qualitäten aufwiesen – als noch bedeutsamer für die persönliche Identität erlebt werden. Möglicherweise liegt dies an der unmittelbaren Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit oder daran, dass sie völlig ungewählt und unerwartet auftreten.
Innerhalb der psychedelischen Gruppen zeigten sich interessante Nuancen:
Im Vergleich verschiedener psychedelischer Substanzen tendierten die Ayahuasca- und DMT-Gruppen dazu, stärkere und positivere anhaltende Konsequenzen der Erfahrung zu berichten als die Psilocybin- und LSD-Gruppen, die weitgehend nicht zu unterscheiden waren.
Dies könnte mehrere Gründe haben:
Wie schon in früheren Studien gezeigt, waren die Psilocybin- und LSD-Gruppen in ihren Berichten nahezu ununterscheidbar – trotz unterschiedlicher molekularer Strukturen und Wirkdauern.
Beide Arten von Erfahrungen – psychedelisch und spontan – führten zu anhaltenden Verringerungen der Angst vor dem Tod. Dies ist besonders bemerkenswert, da Todesangst oft tief verwurzelt ist und konventionelle therapeutische Ansätze nur begrenzt erfolgreich sind.
Die Teilnehmer berichteten:
Die Erfahrungen führten nicht nur zu weniger Angst, sondern auch zu mehr:
Viele Teilnehmer berichteten von grundlegenden Verschiebungen in dem, was ihnen wichtig ist:
Die Forschung wirft fundamentale Fragen über die Natur des Bewusstseins auf:
Möglicherweise aktivieren sowohl psychedelische Substanzen als auch Nahtodsituationen ähnliche Gehirnregionen oder neurochemische Systeme. Psychedelika wirken primär über Serotonin-2A-Rezeptoren, aber auch Nahtodsituationen könnten – durch Sauerstoffmangel, Stress oder andere Faktoren – endogene neurochemische Veränderungen auslösen, die ähnliche Bewusstseinszustände hervorbringen.
Eine alternative Interpretation: Beide Arten von Erfahrungen könnten Zugang zu tiefliegenden Bewusstseinszuständen ermöglichen, die normalerweise durch die Filterfunktion unseres alltäglichen Wachbewusstseins verborgen bleiben. In dieser Sichtweise würden sowohl Psychedelika als auch Nahtodsituationen diese Filter vorübergehend aufheben.
Die Forschung betont, dass der Kontext der Erfahrung entscheidend ist:
Bei Nahtoderfahrungen ist das „Setting“ natürlich nicht kontrollierbar – sie treten unerwartet auf. Bei psychedelischen Erfahrungen zeigt die Forschung jedoch, dass sorgfältige Vorbereitung, therapeutische Begleitung und ein sicherer Rahmen die Wahrscheinlichkeit positiver, transformativer Erfahrungen stark erhöhen.
Frühere Forschung hat gezeigt, dass Nahtoderfahrungen eine außergewöhnliche Erinnerungsqualität besitzen. Studien zeigten, dass NDE-Erinnerungen mehr Charakteristika enthielten als Erinnerungen an reale Ereignisse und Koma-Erinnerungen, was nahelegt, dass sie nicht als imaginierte Ereigniserinnerungen betrachtet werden können.
Diese Erinnerungen:
Dies trifft interessanterweise auch auf intensive psychedelische Erfahrungen zu, die ebenfalls über Jahre hinweg mit bemerkenswerter Klarheit erinnert werden.
Diese Forschung könnte Untersuchungen zur klinischen Anwendung von Psychedelika bei der Behandlung von Stimmungsstörungen und anderen psychiatrischen Erkrankungen wie Angst am Lebensende informieren.
Aktuelle klinische Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse bei:
Ein faszinierendes Paradox: Um Todesangst zu reduzieren, scheint es hilfreich zu sein, eine Erfahrung zu haben, die in gewisser Weise den Tod „simuliert“ oder Aspekte dessen zugänglich macht, was danach kommen könnte. Dies steht im Kontrast zu konventionellen Therapieansätzen, die oft versuchen, die Konfrontation mit dem Tod zu vermeiden oder rational umzustrukturieren.
Systematische Analysen haben Nahtoderfahrungen in vier Hauptkategorien eingeteilt:
Die häufigsten Nahtoderfahrungen waren übernatürliche Erfahrungen, insbesondere die Erfahrung, den Körper zu verlassen.
Die Autoren weisen auf wichtige Einschränkungen hin:
Was die Wissenschaft nicht beantworten kann – und vielleicht nie beantworten wird – ist die ontologische Frage: Sind diese Erfahrungen „nur“ neurobiologische Ereignisse im sterbenden oder veränderten Gehirn, oder ermöglichen sie Zugang zu einer transzendenten Realität, die unabhängig von der physischen Welt existiert?
Die Forschung kann beschreiben:
Aber sie kann nicht definitiv klären, ob diese Erfahrungen Fenster zu einer anderen Dimension der Realität öffnen oder „lediglich“ außergewöhnliche Zustände des menschlichen Bewusstseins repräsentieren.
Nicht alle Nahtoderfahrungen sind friedvoll und positiv. Forschung zeigt, dass es drei verschiedene Typen belastender Erfahrungen gibt:
Diese belastenden Erfahrungen können tiefgreifende und langanhaltende psychologische Auswirkungen haben und verdienen besondere therapeutische Aufmerksamkeit.
Die Erkenntnisse haben direkte Relevanz für die Begleitung Sterbender:
Die Forschung unterstreicht die Bedeutung von:
Diese Forschung trägt bei zu:
In westlichen Gesellschaften ist der Tod oft ein Tabuthema, verdrängt in Krankenhäuser und Pflegeheime, entfremdet von unserem Alltag. Gleichzeitig leiden Millionen Menschen unter existenzieller Angst, besonders angesichts unheilbarer Krankheiten oder im hohen Alter.
Diese Forschung bietet eine wissenschaftlich fundierte Perspektive auf Phänomene, die jahrhundertelang ausschließlich religiösen oder spirituellen Interpretationsrahmen vorbehalten waren. Sie zeigt:
Die Johns Hopkins Studie demonstriert eindrucksvoll, dass nicht nur die Merkmale psychedelischer Erfahrungen Nahtoderfahrungen ähneln können – beide werden als zu den bedeutsamsten Lebenserfahrungen gehörend bewertet, und beide erzeugen ähnliche anhaltende Verringerungen der Todesangst und Steigerungen des Wohlbefindens.
Diese Forschung baut Brücken:
Letztendlich erinnert uns diese Forschung daran, dass das menschliche Bewusstsein zu außergewöhnlichen Transformationen fähig ist – und dass die Konfrontation mit unserer Sterblichkeit, ob durch Nahtoderfahrung oder psychedelische Reise, das Potenzial hat, uns nicht mit Angst zu erfüllen, sondern mit Frieden, Bedeutung und einer tieferen Wertschätzung für das kostbare Geschenk des Lebens.
Dr. Lucas Pawlik
Quelle: Sweeney MM, Nayak S, Hurwitz ES, Mitchell LN, Swift TC, Griffiths RR (2022) Comparison of psychedelic and near-death or other non-ordinary experiences in changing attitudes about death and dying. PLoS ONE 17(8): e0271926.
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