In der Welt der funktionellen Pilze tobt seit Jahren eine intensive Diskussion: Fruchtkörper versus Myzel. Diese Debatte ist zu einem Mantra der Branche geworden und dient als einfache Methode, um komplexe Qualitätsprobleme zu kommunizieren.
Doch während diese Vereinfachung durchaus ihre Berechtigung hat, basiert sie auf einem wackligen Fundament und stellt eine falsche Dichotomie dar. Mit der zunehmenden Reife der Industrie und dem wachsenden Verständnis für funktionelle Pilze wird es Zeit, diese überholte Denkweise zu überdenken.
Um die Komplexität dieser Debatte zu erfassen, müssen wir zunächst die Biologie verstehen: Pilze und Myzel sind verschiedene Strukturen, die von bestimmten fadenförmigen Pilzen produziert werden. Das Myzel ist der eigentliche Körper des Pilzes, der das ganze Leben über existiert und alle lebenswichtigen Funktionen ausführt. Die sichtbaren Pilze – die „Fruchtkörper“ – sind lediglich saisonale Fortpflanzungsstrukturen, vergleichbar mit den Blüten einer Pflanze.
Diese biologische Realität steht im Widerspruch zu unserem pilzzentrierten Weltbild. Da wir nur die oberirdischen Strukturen sehen, betrachten wir sie fälschlicherweise als den Hauptorganismus. Dies führt zu irreführenden Begriffen wie „Pilz-Myzel“, obwohl das Myzel der eigentliche Organismus ist und der Fruchtkörper nur eine kurze Manifestation des langlebigen Myzel-Körpers darstellt.
Die Kritik am Myzel in der Funktionspilz-Industrie ist nicht unbegründet. Der Markt wird von minderwertigen Myzel-basierten Produkten dominiert. Eine 2017 in Nature veröffentlichte Studie testete 19 handelsübliche Reishi-Präparate auf wichtige bioaktive Verbindungen. Nur 26% der Proben enthielten alle erwarteten bioaktiven Verbindungen in angemessenen Mengen. Der Rest wies hohe Stärkeanteile auf – ein klares Zeichen für Getreiderückstände.
Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht im Myzel selbst, sondern in der Produktionsmethode. Diese minderwertigen Produkte entstehen durch „Festkörperfermentation“, bei der Myzel auf Getreidesubstraten wie Hafer oder Reis kultiviert wird. Das Endprodukt enthält dann hauptsächlich unverdautes Getreide mit nur geringen Myzel-Anteilen.
Wie Experten bestätigen, beträgt die Umwandlung von Getreide zu Myzel niemals 100%. In manchen Fällen macht das trockene Myzel nur etwa 10% des Gesamtgewichts aus. Das bedeutet, dass 90% des Produkts aus Füllstoffen bestehen – eine massive Verdünnung der wertvollen bioaktiven Verbindungen.
Was viele nicht wissen: Die meisten klinischen Studien zu funktionellen Pilzen verwenden gar keine Fruchtkörper. Von über 200 dokumentierten Studien nutzen nur etwa 20% Fruchtkörper-Extrakte. Die überwiegende Mehrheit arbeitet mit Myzel-basierten Extrakten oder isolierten Verbindungen aus Myzel.
Diese hochwertigen Myzel-Produkte entstehen durch „Flüssigfermentation“ – ein Verfahren, bei dem Myzel in nährstoffreichen Flüssigmedien kultiviert wird. Diese Methode ermöglicht die Produktion reiner Myzel-Extrakte ohne Getreiderückstände. Bekannte Beispiele sind:
Letzteres ist besonders interessant, da Erinacin A ausschließlich im Myzel vorkommt und als entscheidend für die kognitiven Vorteile der Löwenmähne gilt.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob ein Produkt Fruchtkörper oder Myzel enthält, sondern ob es die bioaktiven Verbindungen in klinisch relevanten Mengen liefert. Verbraucher sollten fragen: Welche Wirkstoffe sind in welchen Mengen enthalten? Ohne diese Angaben sind Gesundheitsversprechen bedeutungslos.
Die Branche braucht klarere Kennzeichnungsstandards. Produkte, die als „Reishi-Pilz“ oder „Löwenmähne-Pilz“ beworben werden, enthalten oft gar kein Pilzgewebe, sondern hauptsächlich unverdautes Getreide. Eine ehrlichere Kennzeichnung wäre beispielsweise „Shiitake-Myzel-Biomasse (auf Hafer)“ oder „Myzelierter Hafer (Shiitake)“.
Die Funktionspilz-Industrie steht an einem Wendepunkt. Anstatt in der vereinfachten Fruchtkörper-versus-Myzel-Debatte zu verharren, sollten wir uns auf Qualität, Transparenz und wissenschaftliche Fundierung konzentrieren. Beide Ansätze – hochwertige Fruchtkörper-Extrakte und reine Myzel-Produkte – haben ihre Berechtigung und ihren Platz im Markt.
Die Zukunft liegt nicht im „Entweder-oder“, sondern in der Aufklärung der Verbraucher über die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Produkttypen. Nur durch Transparenz und wissenschaftliche Präzision kann die Branche das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen und ihr volles therapeutisches Potenzial entfalten.
Die Fruchtkörper-versus-Myzel-Debatte ist eine Vereinfachung, die der Komplexität der Pilzbiologie nicht gerecht wird. Statt sich in dieser falschen Dichotomie zu verlieren, sollte sich die Industrie auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: die Bereitstellung wirksamer, gut charakterisierter Produkte mit nachweisbaren bioaktiven Verbindungen. Nur so kann die Funktionspilz-Branche ihr Potenzial als seriöser Akteur im Gesundheitswesen verwirklichen.
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